Vortrag von Thorsten Mense
Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts wird vor allem mit Lateinamerika, und besonders mit dem chavistischen Venezuela in Verbindung gebracht. In verschiedenen lateinamerikanischen Staaten sind im letzten Jahrzehnt Linksregierungen entstanden, die sich mal mehr, mal weniger auf dieses Konzept berufen und selbst Kuba, die letzte Insel des real existierenden Sozialismus, sieht sich als Teil dieser neuen „revolutionären Bewegung“.
Aber wie viel Marx steckt im Sozialismus des 21. Jahrhunderts? Handelt es sich um die bloße Überführung des autoritären Staatssozialismus sowjetischen Typs ins neue Jahrtausend? Nationalistischer Linkspopulismus, angereichert mit Antiamerikanismus und Antisemitismus? Oder ist es das neue revolutionäre Konzept? Das historische Projekt, das nach dem „Ende der Geschichte“ und mit zunehmender Krisenhaftigkeit des Kapitalismus das Potential besitzt, den Menschen Freiheit und Gerechtigkeit zu bringen und die befreite Gesellschaft einzurichten?
Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts ist von allem etwas. Dahinter steht keine feste Theorie, sondern in ihm vermengen sich verschiedene Ansätze aus der linken Ideengeschichte: Staatssozialismus, Basisdemokratie, Linksnationalismus, Antiimperialismus usw. Er entfaltet sich regional auf sehr unterschiedliche Weise und dient sowohl basisdemokratischen Bewegungen als auch autoritären Regimen als politische Identität. Aber trotz aller Unterschiede gibt es gewisse inhaltliche Grundpfeiler und Überzeugungen, auf dem das Konzept aufbaut. In dem Vortrag wird dieser ideologische Kitt des Sozialismus des 21. Jahrhunderts kritisch beleuchtet und aufgezeigt, welches Bild von Politik, Gesellschaft und Ökonomie hinter der Idee steht. Anhand konkreter Beispiele wird auch ein Blick auf die realen gesellschaftlichen Prozesse vor Ort geworfen und gezeigt, wer und was sich so alles unter dem Label „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zusammen findet.
Thorsten Mense ist Soziologe und arbeitet als freier Autor und Journalist u.a. für Jungle World und Konkret. Er berichtet regelmäßig über gesellschaftliche Entwicklungen in Lateinamerika.