Vortrag von Lars Quadfasel
Nach der Sommerpause geht es nun weiter mit dem 2. Teil der Kritikreihe des Referats für politische Bildung.
Als Marx und Engels ihr Traktat über die »Deutsche Ideologie« schrieben, hätten sie sich wohl kaum träumen lassen, welcher Beliebtheit sich dieser Begriff einmal erfreuen sollte – und wieviel Schindluder dabei mit ihm getrieben werden würde. Ideologie, das hieß für die allermeisten Linken kaum mehr als der Sand, den die Herrschenden den Unterdrückten in die Augen streuten; und nicht wenige schwärmten zugleich, quasi als Antidot zu Lüge und Nebelwerferei, von der »gefestigten sozialistischen Ideologie«, welche die »Vorhut der Arbeiterklasse« (meist also einfach: sie selbst) auszeichne. Statt im Bewusstsein den Niederschlag des Seins, der gesellschaftlichen Verkehrsverhältnisse, zu erkennen, wurde Denken so auf eine Frage guten oder bösen Willens reduziert – exakt das also, was Marx und Engels an den Junghegelianern verspottet hatten.
Kein Wunder daher, dass ähnlich bescheidwisserisch auch in der bürgerlichen Öffentlichkeit von Ideologie dahergeredet wird. Während der Sportredakteur noch den Fußballer Xavi Hernandez als den »Ideologen« hinter Barcelonas Tiki-taka-Spielsystem feiert, wettert man im Politikteil über die »Ideologen« aus wahlweise Griechenland, USA oder Israel, die uns friedliebenden, pragmatischen und kompromissbereiten Deutscheuropäern das Leben sauer machen; und die Modedenker verkünden derweil triumphierend, dass das »Zeitalter der Ideologien« nun endlich an sein Ende gekommen sei.
Gerade der letztgenannte Befund ist dabei selbst ein Schulfall von Ideologie: weil er in seiner Unwahrheit – als wäre die Unausweislichkeit von Sachzwang und Realpolitik wirklich unausweichlich und nicht politisches Programm – zugleich eine Wahrheit enthält: dass für den Vollzug der Verhältnisse herzlich unbedeutend ist, was ihre menschlichen Anhängsel über sie denken; dass es zu ihrer Aufrechterhaltung der Pläne und Wünsche der einzelnen nicht mehr bedarf. »Die Ideologie«, heißt es daher bei Adorno, »ist keine Hülle mehr, sondern das drohende Antlitz der Welt.«
Der Zwang, aus dem Widersinn der Verhältnisse Sinn zu schlagen, ist damit freilich nicht einfach verschwunden. Der Vortrag wird daher der Frage nachgehen, was Ideologie in der postideologischen Gesellschaft heißt. Als kritisches Modell soll dabei ein Gegenstand dienen, der Ideologie buchstäblich unter die Haut gehen lässt: das Denken über Geschlechterverhältnisse. Nichts, schließlich, erfreut sich in Zeiten der Krise, in denen Politik und Ökonomie längst hoffnungslos erscheinen, größerer Popularität als Körperliches – sei es, in Gestalt der poststrukturalistischen Gender-Theorie, im Geistesbetrieb oder sei es, in Gestalt von Ratgeberliteratur übers Einparken und Sockenfinden, als Alltagsreligion.